Während sich sehr viele Menschen über eine immer heißere Welt sorgen, bleibt die sogenannte Biodiversitätskrise oft auf der Strecke. Dabei wird sie vom Stockholm Resilience Center sogar als eine noch größere Gefahr für die Menschheit gewertet als die Klimakrise.
Was also passiert da gerade in der Natur, mit welchen Folgen? Und was hat irgendeine random Ameisenart damit zu tun?
Was ist Biodiversität?
Viele verbinden das Thema Biodiversität wahrscheinlich mit dem Artensterben, das wir aktuell beobachten können.
Weniger Vogelgezwitscher, weniger Frösche im Wald, weniger Fliegen auf der Windschutzscheibe – irgendwie schade, aber jetzt auch nichts, worüber man sich nächtelang den Kopf zerbrechen muss. Oder?
Machen wir’s kurz: Biodiversität, die neben der Artenvielfalt auch die genetische Vielfalt und die Vielfalt von Ökosystemen umfasst, ist buchstäblich unsere Lebensgrundlage. Ohne sie gäbe es keine saubere Luft, kein sauberes Trinkwasser, keine Nahrung, keine Medizin.
Zudem leistet sie auch einen wichtigen Schutz gegen den Klimawandel. Denn eine intakte Natur ist resistent(er) gegen schädliche Einflüsse wie steigende Temperaturen.
Gründe für den Verlust der Biodiversität
Ihr habt es sicher schon vermutet: Die Realität sieht derzeit leider anders aus. Die Geschwindigkeit, in der z.B. die Arten derzeit von unserem Planeten verschwinden, ist ein Indikator dafür, dass wir uns im sechsten Massensterben der Erdgeschichte befinden. Die Rolle, die in der Vergangenheit Supervulkane oder Asteroiden spielten, übernehmen die Menschen jetzt höchstpersönlich.
Insbesondere durch die intensive Landnutzung der letzten tausend Jahre1, aber auch durch Umweltverschmutzungen und das Emittieren von Treibhausgasen haben Menschen eine fatale Abwärtsspirale ausgelöst.
Das Ergebnis: Rund eine Millionen Tier- und Pflanzenarten stoßen derzeit an eine gefährliche Grenze der Ausrottung – eine globale Aussterberate, die um ein Vielfaches höher ist als der Durchschnitt der letzten 10 Millionen Jahre2.
Warum ist das so ein großes Problem?
Die Netzwerke in der Natur sind auf komplexe Weise aufeinander abgestimmt und voneinander abhängig. Der Wegfall bestimmter Arten kann deshalb zum Kollaps eines kompletten Ökosystems führen. Mit wiederum fatalen Folgen für uns Menschen.
Viele dieser sogenannten Schlüsselarten sind durch die unglaubliche Komplexität der Wirkungsketten noch gar nicht identifiziert – von anderen wissen wir bereits.
Vielleicht habt ihr es euch schon gedacht: Die Ameise ist eine der Insektengruppen, die eine besondere Rolle beim Aufrechterhalten verschiedener Ökosysteme spielen.
Was also wäre nun das “Problem”, wenn in Brasilien die Blattschneiderameise, die symbiotisch mit einer Pilzart lebt und diese sogar landwirtschaftlich kultiviert, aussterben würde? Eine potenzielle und stark vereinfachte Wirkungskette von vielen.
Die Folgen des Verschwindens einer Art
Die Ameisen haben die Pilze versorgt und mit ihren Nestern den Boden aufgelockert. “Ihre” Pilzpopulation geht nun drastisch zurück und kann den Boden nicht mehr mit Nährstoffen versorgen.
Darunter leidet der Boden, der zunehmend unfruchtbar wird. Handelt es sich um eine landwirtschaftliche Fläche, wird dort nun (verstärkt) gedüngt. Das konventionelle Düngemittel schadet der Biodiversität weiter, während die Kosten für nach Deutschland importiertes Soja, Zuckerrohr und Kaffee steigen. JA, KAFFEE!
Natürlich würde hier auch eine Kaskadenwirkung im Nahrungsnetz ausgelöst, die lokale Wirtschaft wäre gefährdet und kranke Bäume und Böden könnten ihre Funktion als CO2 Senken nicht mehr erfüllen – all das mit weiteren unabsehbaren Folgen. Aber in der Diskussion mit wütenden Verwandten wie Onkel Herbert eignen sich drohende Versorgungsengpässe beim Rohkaffee ja vielleicht mehr 🙂
“Ist doch egal, wenn irgendwo Tierart X ausstirbt” – wer hat das schon mal in Diskussionen gehört?
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit Flip. Wir haben unsere Recherche-Teams vereint und für euch gängige Biodiversitäts-Mythen einem Faktencheck unterzogen.
1 Winkler, K.; Fuchs, R.; Rounsevell, M. et al.: Global land use changes are four times greater than previously estimated, in: Nature Communications 12, 1501 (2021), S. 2.
2 ipbes (Hg.): Das globale Assessment der Biologischen Vielfalt und Ökosystemleistungen. Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger, Bonn 2019, S. 12.