Klima

Warum plötzlich jedes Produkt klimaneutral ist

Warum plötzlich jedes Produkt klimaneutral ist

Von der Gurke bis Europa

Klimaneutralität hat sich zu einem Schlüsselbegriff gewandelt, wenn es um Maßnahmen geht, die Klimakrise einzudämmen. Für Lebensmittel, Produkte und Reisen gibt es mittlerweile Angebote mit entsprechendem Label „klimaneutral“. Ganze Länder – oder im Fall von Europa sogar Kontinente – setzen Klimaneutralität ganz oben auf die Agenda.

Doch das Label „klimaneutral“ kann irreführend sein. Warum, erfahrt ihr im dritten Teil unserer Mini-Serie “grüne Werbelügen”.

Was heißt klimaneutral?

Der Weltklimarat (IPCC) definiert den Begriff Klimaneutralität im Special Report: Global Warming of 1.5 ºC als Zustand, in dem menschliche Aktivitäten keine Netto-Auswirkungen auf das Klima haben.

Alles, was produziert wird, setzt irgendwo im Produktionsverlauf Emissionen frei. Bei der Klimaneutralität wird versucht, diesen Wert rechnerisch auf 0 zu senken.

Erreicht werden soll das durch zwei Instrumente:

  1. Emissionen innerhalb der Produktion senken
  2. Die restlichen Emissionen kompensieren

Klimaschutz oder Greenwashing?

Illustrierte Erde denkt über den Begriff klimaneutral nach

Ein großes Problem der Bezeichnung “klimaneutral” ist, dass gesetzliche Standards fehlen. So ist beispielsweise nicht festgelegt, in welchem Verhältnis die beiden Instrumente zur Emissionssenkung stehen müssen. Das bedeutet: Klimaneutralität heißt nicht, dass Emissionen im Unternehmen gezielt – oder überhaupt – gesenkt werden müssen. Das Ziel von null Emissionen kann auch nur durch Kompensationen erreicht werden.

Somit können Produkte als klimaneutral gelabelt werden, obwohl es keinerlei Anstrengungen gibt, die Emissionen im Produktionsverlauf zu reduzieren. Desweiteren gibt es klimaneutrale Produkte, die zwar in der Produktion klimaneutral, dafür aber in ihrer Auswirkung massiv klimaschädigend sind.

Ein Beispiel dafür ist ein Hähnchenbrustfilet von REWE, das durch Aufforstungsprojekte in Peru den Stempel klimaneutral trägt. Gleichzeitig hat die industrielle Tierhaltung einen großen Anteil an der Erderwärmung. Von Foodwatch wurde das Produkt auch deswegen mit dem “Goldenen Windbeutel 2021” ausgezeichnet, einem Negativpreis für dreiste Werbelügen.

Ein weiteres Schlupfloch: Unternehmen können sich mit der Bezeichnung “klimaneutral” auf Teilbereiche ihres Produkts beziehen. Ein Unternehmen, das enorm hohe Emissionen in der Logistik und im Vertrieb hat, darf das Label also verwenden, wenn nur die Produktion klimaneutral ist. Kommuniziert werden muss das nicht, weil es dafür keine Kennzeichnungspflicht gibt. So gibt es mittlerweile klimaneutrale Flughäfen, obwohl der damit verbundene Flugverkehr große Auswirkungen auf unser Klima hat.

Ist Kompensation etwas Schlechtes?

Wenn Klimaneutralität auf dem Papier ohne Veränderung der eigenen unternehmerischen Praxis möglich ist, ist das ein schneller Weg zu einem grünen Image, ohne wirklich Anstrengungen leisten zu müssen. Die Kompensation von Emissionen ist nicht nur deswegen umstritten und wird oftmals auch als moderner Ablasshandel bezeichnet. Das Risiko für Greenwashing ist groß.

Klimaneutralität oder Greenwashing? Illustration einer Fabrik, die grün angemalt wird.

Wichtig: Kompensation (von verlässlichen Anbietern) kann ein wichtiges Instrument sein, die eigenen Emissionen auszugleichen. Das sollte jedoch Hand in Hand mit der schrittweisen Vermeidung und Verringerung bei der eigenen Produktion gehen. Das Label der Klimaneutralität ermöglicht aber, dass diese Schritte derzeit übergangen werden können.

Das trifft natürlich nicht auf alle Unternehmen zu und genau hier entsteht neue Ungerechtigkeit. Im Supermarkt können sich die Produkte, bei denen wirklich aktiv an Emissionsvermeidung gearbeitet wird, nicht von den Mogelpackungen abgrenzen.

Was muss sich verändern?

Dass der Markt das Problem eben nicht regelt, zeigt eine Untersuchung des Thinktanks „New Climate Institute“, der 25 internationale Unternehmen auf ihre Klimaschutzziele untersucht hat – eigentlich auf der Suche nach Vorbildern. 24 der 25 Unternehmen setzen laut der Studie vor allem auf Kompensationen, größtenteils auf Waldprojekte, um ihr Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Bei vielen Unternehmen sah die Studie “keine spezifischen Verpflichtungen für Emissionsreduzierungen”.

Ein nicht standardisiertes, freiwilliges Label führt genau zu diesen Schlupflöchern und zu einer starken Intransparenz. Klimaneutralität sollte ein Prozess sein, in dem Produktionen Schritt für Schritt nachhaltiger gestaltet werden. Restemissionen werden immer bleiben, hier ist Kompensation sinnvoll. Um aber eine vollständige Kompensation und damit verbundenes Greenwashing einer Produktion zu verhindern, braucht es mehr Transparenz und klare Regeln, die Unternehmen dazu verpflichten aufzuzeigen, wie sie Emissionen effektiv senken (wollen).

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