Ein guter Grund für Ärger und Wut: Wir werden die 1.5-Grad-Grenze verfehlen. Das ist mittlerweile so gut wie sicher. Um sie noch einzuhalten, müssten sich Regierungen, Wirtschaft und Gesellschaften weltweit quasi von heute auf morgen einigen und einen gemeinsamen Weg einschlagen. Die Chance, dass das passiert, geht gegen null.
Dagegen liegt die Wahrscheinlichkeit laut WMO bei fast 50 Prozent, dass die 1.5 Grad bereits in einem der nächsten Jahre erstmals temporär überschritten werden. Bis zum Ende des Jahrhunderts steuern wir auf eine Erhitzung von 2.4 Grad zu – und das auch nur, wenn alle Zusagen der Weltklimakonferenz von Glasgow bis 2030 umgesetzt werden sollten.
Das wird fatale Folgen für die Menschheit haben. Schon mit der Übersteigung von 1.5 Grad kann es sehr gut sein, dass mehrere Kipppunkte des Erdsystems irreversibel überschritten werden. Dann sterben Korallenriffe ab und das Grönlandeis, das arktische Meereis und die Permafrostböden in Sibirien beginnen unaufhaltsam zu schmelzen. Wir verlieren dann die Kontrolle.
Jetzt ist es nicht so, dass diese Tatsachen etwas Neues für die Regierungen dieser Welt sind. Fast alle wissen seit Jahrzehnten um die Gefahr der Klimakrise. Dennoch versucht derzeit keine Regierung der Welt ernsthaft, die 1.5 Grad-Grenze einzuhalten.
Warum? Dafür gibt es eine Menge (haltloser) Ausreden und Beschwichtigungen:
Abgesehen davon, dass sich Politiker*innen in der Vergangenheit auch einfach von der Industrie haben kaufen lassen.
Mit selbst in Auftrag gegebenen Studien, Greenwashing und Narrativen, die sich immer an die aktuelle Debatte anpassen, täuschen Lobbyorganisationen zudem gezielt die Gesellschaft und auch Medienvertreter*innen.
“Ölkonzerne wie Shell, Exxon und Total wissen nachweislich seit Jahrzehnten, was es mit unserem Planeten macht, wenn wir immer mehr Gas, Öl und Kohle verbrennen. […] Anstatt die Welt zu warnen, und, na ja , ihre Geschäftsstrategie zu ändern, starteten sie eine gewaltige Desinformationskampagne, die sie bis heute fortführen.“
Sara Schurmann in ihrem Buch „Klartext Klima“.
Seid ihr wütend geworden?
Ärger und Wut oder Frustration sind Gefühle, die uns zwangsläufig begegnen, wenn wir uns mit der Klimakrise beschäftigen. Diese Gefühle sind aber keineswegs etwas Schlechtes, wie die beiden Gründerinnen der Psychologists for Future Lea Dohm und Mareike Schulze in ihrem Buch “Klimagefühle” erklären:
“Wut und Ärger erfüllen wichtige Funktionen, denn sie können uns zum Handeln motivieren und gegen Ungerechtigkeiten aktiv werden lassen. Sie sind damit vielleicht das wichtigste Antriebsmoment der Klimabewegung.”
Problematisch wird es erst, wenn wir gar nicht mehr aus dem Gefühl herauskommen und konstant in körperlicher Alarmbereitschaft bleiben. Das schwächt unser Immunsystem und kann dazu führen, dass wir krank werden und unser rationales Denkvermögen leidet.
In diesem Fall verlieren wir uns in der Wut, sie dient uns dann nicht mehr als Motor, um aktiv zu werden. Das kann zu dauerhafter Verbitterung führen.
Was kann ich tun, wenn mich das fehlende politische Handeln in der Klimakrise wütend macht?
Lea Dohm und Mareike Schulze empfehlen, den Gefühlen zunächst den Raum zu geben, den sie brauchen. Dazu gehört auch mal, laut zu fluchen oder vor Wut zu weinen. Das ist gesund und kann eine angstlösende Wirkung haben.
In der Folge ist es dann oft möglich, den Ärger einigermaßen konstruktiv an diejenigen zu richten, die ihn (mit) ausgelöst haben. Zum Beispiel in einem Brief an einen Abgeordneten, bei einer wichtigen Demo oder Aktion, die für dein Anliegen steht.
Aktiv zu werden und Dinge auch im eigenen Leben zu verändern, ist ein zentraler Bestandteil von Klima-Ärger und Wut. Oft kommt die Veränderung dabei nicht über Nacht. Die wenigsten können in ihrem Leben sofort alle Komponenten verändern, von Veränderungen in der Politik und Wirtschaft ganz zu schweigen.
Es ist wichtig, dass wir das mit der Zeit auch akzeptieren. In diesem Akzeptanzprozess begegnen wir laut den Psychologists for Future-Gründerinnen häufiger „weicheren“ Gefühlen wie Angst, Ohnmacht, Verzweiflung und Scham.
Wut zu fühlen, ist für einige Menschen leichter, als zu trauern oder Angst zu haben. Dennoch sollten wir auch die unter der Wut liegenden Gefühle wahrnehmen.
“Wenn es uns gelingt, diese auch wahrzunehmen, können wir es eher schaffen, uns zu befreien. Denn nur mit der gesamten Bandbreite unserer Gefühle – in einer mittleren, gut auszuhaltenden Gefühlsintensität – bleiben wir handlungsfähig, statt dass wir uns hineinsteigern oder gar ausbrennen.”
Lea Dohm und Mareike Schulze in ihrem Buch „Klimagefühle“
Quellen zu diesem Beitrag
Lea Dohm, Mareike Schulze (2022). Klimagefühle: Wie wir an der Umweltkrise wachsen, statt zu verzweifeln.
Armstrong McKay et al. (Science, 2022): Exceeding 1.5°C Global Warming Could Trigger Multiple Climate Tipping Points, https://bit.ly/3T0Emej
IPCC, 2022: Summary for Policymakers [H.-O. Pörtner, D.C. Roberts, E.S. Poloczanska, K. Mintenbeck, M. Tignor, A. Alegría, M. Craig, S. Langsdorf, S. Löschke, V. Möller, A. Okem (eds.)]. In: Climate Change 2022: Impacts, Adaptation, and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change [H.-O. Pörtner, D.C. Roberts, M. Tignor, E.S. Poloczanska, K. Mintenbeck, A. Alegría, M. Craig, S. Langsdorf, S. Löschke, V. Möller, A. Okem, B. Rama (eds.)]. Cambridge University Press, Cambridge, UK and New York, NY, USA, pp. 3-33, doi:10.1017/9781009325844.001
Pressemitteilung der World Meteorological Organization (WMO) vom 9. Mai 2022: WMO update: 50:50 chance of global temperature temporarily reaching 1.5°C threshold in next five years.
WMO Lead Centre for Annual-to-Decade Climate Prediction
Spiegel Online am 21.12.2004: Gehaltsaffäre. RWE soll 40 weitere Politiker auf Lohnliste haben
Deutschlandfunk am 14.11.2021: Extremwetter und Hungersnöte: Die Welt bei einem Temperaturanstieg um 2,4 Grad