Klima

Öko-Ableismus: Warum Menschen mit Behinderung bei der Klimakrise nicht mitgedacht werden

By 31 Oktober 2022 Januar 17th, 2023 No Comments
Öko-Ableismus: Warum Menschen mit Behinderung bei der Klimakrise nicht mitgedacht werden

Menschen mit Behinderung sind von den Folgen der Klimakrise stärker betroffen – und werden bei Klimaschutzmaßnahmen häufig nicht mitgedacht. Diese strukturelle Benachteiligung wird Öko-Ableismus oder Eco-Ableism genannt. Welche Facetten diese Form der Diskriminierung hat und was sich diesbezüglich verändern muss, darüber haben wir mit dem Inklusions- und Menschenrechtsaktivist Raul Krauthausen gesprochen. Ein Überblick.

Illustration von Raul Krauthausen, Ann-Sophie und Robin in einem ovalen Rahmen.

Was ist Öko-Ableismus?

Menschen mit Behinderung haben angesichts der Klimakrise zwei große Probleme:

  1. Sie sind durch Klimawandelfolgen wie Hitze, Extremwetterereignisse und Naturkatastrophen sowie deren “Nachwehen” in Form von Stromausfällen etc. stärker gefährdet.
  2. Diese höhere Vulnerabilität wird aktuell häufig weder in der Umweltpolitik berücksichtigt, noch wenn es darum geht, Flucht- und Notfallpläne zu erarbeiten.

Das erste Problem reiht sich ein in die große soziale Ungerechtigkeit der Klimakrise, welche auch geografisch gesehen die Menschen zuerst gefährdet, die sie am wenigsten verschulden. Hinter dem zweiten Problem steckt eine strukturelle Benachteiligung von Menschen mit Behinderung in der Umweltpolitik, die auch “Öko-Ableismus” genannt wird.

Eine im April 2020 veröffentlichte Studie der Vereinten Nationen zeigt: Die Bedrohung für behinderte Menschen durch die Folgen der Klimakrise ist ernst und stellt nicht zuletzt eine Menschenrechtsfrage dar:

“Menschen mit Behinderungen [gehören] oft zu denjenigen, die in einer Notsituation am stärksten betroffen sind. Sie haben unverhältnismäßig hohe Morbiditäts- und Mortalitätsraten und gehören zu denjenigen, die am wenigsten Zugang zu Notfallhilfe haben.”*

*Analytical study on the promotion and protection of the rights of persons with disabilities in the context of climate change: Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights 2020, S. 3f.

Dazu kommt laut dem Menschenrechtsaktivist und Moderator, Podcast-Host und Autor Raul Krauthausen ein weiteres Problem: „Wenn es um Klimaschutz geht, werden behinderte Menschen sehr oft übersehen und auch bewusst übergangen“, sagte er uns im nachhaltig.kritisch-Podcast.

Illustration von Raul Krauthausen. Um ihn herum sind 4 Strohhalme aus Plastik in unterschiedlichen Farben platziert.

Ein typisches Beispiel dafür: Die vielgefeierte Entscheidung, in Europa den Plastikstrohhalm zu verbieten. Ein Schritt nach vorne im Kampf gegen die Vermüllung der Meere – zwei Schritte zurück für Menschen mit Behinderungen, die auf Strohhalme angewiesen sind.

“Benutz doch einfach ein Glasröhrchen”

Deren Argumente seien in der politischen Debatte dazu überhaupt nicht gehört worden, so Krauthausen. Stattdessen hätten sie häufig “sehr harsche, fast schon beleidigende Belehrungen” erhalten. Glas- oder Silikonröhrchen stellten dabei aber keine zufriedenstellenden Alternativen dar – andernfalls würden die betroffenen Personen diese Lösungen wahrscheinlich längst nutzen.

Mit Beschlüssen wie dem Einweg-Plastikverbot werde auf Kosten von Menschen mit Behinderung in kleinteiligen Aktionismus verfallen, um in den Medien gut dazustehen – anstatt die wirklich großen Dinge anzupacken.

Illustration einer Hand, die einen Strohhalm aus Glas hält.

Struktureller Öko-Ableismus in Deutschland

Ein Thema, das auch in Deutschland immer relevanter wird: Evakuierungs-und Notfallpläne für Umweltkatastrophen. Bei der Flut im Sommer 2021 starben zwölf Menschen in einem Heim für Menschen mit Behinderung in Seizig bei Ahrweiler. Hätte das durch einen entsprechenden Fluchtplan verhindert werden können?

Die Journalistin und Rednerin Andrea Corinna Schöne berichtet auf ihrer Webseite von einem Fall aus ihrer eigenen Vergangenheit: “Als meine Schule beim Schulamt einen neuen Brandfallplan beantragte, da ich die erste Schülerin im Rollstuhl war und sie sich daher absichern wollten, hieß es, ich sei ein „Kollateralschaden.”

Was muss sich verändern?

Illustration von zwei Protestplakaten. Auf dem einen Schild ist eine Person im Rollstuhl abgebildet, auf dem anderen eine brennende Erde.

Schöne, Krauthausen und andere Aktivist*innen fordern basierend auf diesen Mängeln eine aktive Beteiligung von Menschen mit Behinderung im Katastrophenschutz und bei der Entwicklung von Klimaschutzmaßnahmen.

Denn nur wenn behinderte Menschen die Debatte aktiv mitführen – und diese nicht über sie geführt wird – können die Strukturen sich im Kern verändern.

Warum jetzt noch den nachhaltig.kritisch-Podcast hören?

Im Podcast sensibilisiert Raul in vielen weiteren Beispielen für das Thema ÖkoAableismus. Außerdem sprechen wir darüber, wie inklusiv er die aktuelle Umweltbewegung einschätzt. Es lohnt sich!

 

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Dieser Beitrag konnte zustandekommen, weil Raul kostenlose Bildungsarbeit geleistet hat. Schaut also gerne mal auf seiner Webseite www.raul.de oder seinem Instagram-Profil @raulkrauthausen vorbei. Dort erfahrt ihr, wie ihr ihn via Steady, PayPal und Freundeskreis unterstützen könnt.

Quellen für diesen Beitrag
Analytical study on the promotion and protection of the rights of persons with disabilities in the context of climate change: Report of the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights. United Nations General Assembly. 2020.

Gespräch mit Raul Krauthausen

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