Konsum

Klimabilanz von Drogen: Wie nachhaltig ist eigentlich kiffen?

By 8 Dezember 2020 März 30th, 2022 One Comment

Wir haben euch Anfang der Woche gefragt, welche Drogen euch im Bezug Nachhaltigkeit am meisten interessieren. Nicht ganz überraschend wurde Cannabis am meisten genannt. In diesem Beitrag geht es nun um einige Aspekte, die es in der Öko-Bilanz von Cannabis zu berücksichtigen gilt. Ich freue mich auf Anmerkungen und Ergänzungen, die es hier sicherlich geben wird und muss. Denn die Spannbreite zwischen den verschiedenen Herstellungsarten (und damit den ökologischen Auswirkungen) ist riesig, und auch in der sozialen Dimension gibt es weitere potenzielle Auswirkungen.

Was ich kurz anmerken möchte: Wir möchten hier Drogen weder bashen noch verherrlichen. Wir finden nur, auch Drogen sind ein Teil dieser Gesellschaft und sollten auch mit den Maßstäben betrachtet werden können, mit denen wir auch andere Produkte des Lebens bewerten. Dabei geht es nicht um eine wertende Einordnung in “gut” und “schlecht”, sondern um eine sachliche Aufarbeitung der verfügbaren Quellen.

Wir möchten uns bei dieser Recherche auf den Umweltaspekt konzentrieren. Trotzdem wollen wir bei so einem konfliktreichen Thema die gesundheitlichen Gefahren nicht außer Acht lassen. Solltest du oder ein dir lieber Mensch unter einem Suchtproblem leiden oder gefährdet sein, möchten wir deshalb an den Drogennotdienst verweisen. Hier gibt es rund um die Uhr Beratung und Aufklärung für Suchtgefährdete sowie Angehörige: 030/19237. 

Herstellung

Möchte man ein Produkt im Hinblick auf seine Klimabilanz untersuchen, ist der Herstellungsprozess ein wichtiger Teil davon. Während es für die Plantagen in den großen Anbauländern Marokko oder Afghanistan keine verlässlichen Zahlen gibt, lohnt sich der Blick in die USA oder Kanada. Hier wurde der Konsum von Cannabis bereits teilweise  legalisiert.

Strom und Wasser

Veröffentlichte Zahlen zeigen: Vor allem der Stromverbrauch ist ein echtes Manko. Eine Studie des Lawrence Berkeley National Laboratory errechnete 2012, dass die Cannabis-Produktion 1% des landesweiten Stromverbrauchs ausmachte. Ebenfalls aus dem Jahr 2012 findet sich ein Beitrag im Journal Energy Policy, in welchem der Autor alle Faktoren, die bei einem professionellen Indoor-Anbau von Gras benötigt werden, addiert, um anschließend einen CO2-Fußabdruck für den Anbau zu bestimmen. Das Ergebnis: 1 Kilogramm Indoor-Cannabis verursachte 4.600 Kilogramm CO2. 

In einem Artikel, den BioScience veröffentlichte, wird der starke Wasserverbrauch der Industrie deutlich. Eine Pflanze benötigt demnach demnach mehr als 22 Liter Wasser pro Tag (Juni bis Oktober). Somit werde für einen Quadratkilometer Anbaufläche in Indoor-Anlagen ganze drei Milliarden Liter benötigt. In Outdoor-Plantagen sind es 430 Millionen Liter pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: Weintrauben in der gleichen Region, also der Nordküste von Kalifornien, verbrauchen 271 Millionen Liter Wasser pro Quadratkilometer. 

Die Zahlen beziehen sich auf eine Anbausaison und sind aus dem Jahr 2015, damals hatten nicht einmal die Hälfte der US-amerikanischen Staaten medizinisches Marihuana legalisiert. Mittlerweile sind es 33. 

Das sind krasse Zahlen. Man muss bedenken: Sie beziehen sich auf eine professionelle und milliardenschwere Indoor-Industrie inkl. Filtern, Ventilatoren, UV-Lampen und Co. Mit einer Topfpflanze auf der eigenen Terrasse hat diese Aufzucht kaum etwas gemein. 

Transport

Auch der Transportweg ist ein wichtiger Faktor in der Ökobilanz eines Produkts. Während das meiste Gras in Deutschland wohl aus Europa stammt, hat Haschisch meist einen längeren Weg hinter sich: Die Blütenharz-Klumpen stammen häufig aus großen Anbauländern wie Marokko. 

Wie hierzulande das Verhältnis von importierten Haschisch bzw. Marihuana zu Homegrown-Gras ist, lässt sich aufgrund fehlender verlässlicher Quellen nicht sagen. Zwar gibt es Zahlen von konfiszierter Schmuggelware oder entdeckten Plantagen – diese Daten kann man aber nicht in Relation setzen, da die Dunkelziffer wohl deutlich höher ist.

Die Nutzung

Natürlich ist auch die “Nutzung”, also das Rauchen, ein weiterer Teilaspekt. Nutzt man eine Bong oder einen Vaporizer, oder raucht man einen Joint, ggf. mit Tabak und Filter? Wie werden die Kippenreste entsorgt? Auch diesen Entscheidungen haben Auswirkungen auf die Umwelt. Zu Tabak wird dabei aber noch ein ausführlicher Post folgen.

Kann eine Legalisierung das Problem lösen?

Die Debatte um die Entkriminalisierung oder Legalisierung von Cannabis wird in Deutschland schon lange und teilweise sehr emotional geführt. Der Standpunkt der Bundesdrogenbeauftragten Daniela Ludwig von der CSU ist klar. Sie ist Contra-Cannabis, wie sie mit ihrem aus Memes bekannt gewordenen Zitat “Cannabis ist kein Brokkoli” klarstellte. Ihren Standpunkt begründet sie oft mit potentiell gesundheitlichen Auswirkungen.

Doch auch der Umweltaspekt sollte bei einer diesbezüglichen Entscheidung bedacht werden. Die Zahlen aus den USA zeigen, dass die industrielle Produktion von Cannabis enorm viel Energie benötigt. Das Berkeley Cannabis Research Center in den USA vermutet, dass neue Kraftwerke gebaut werden müssten, um den hierdurch entstandenen hohen Energiebedarf der Industrie zu decken. Das Problem ist hier vor allem, dass die Industrie quasi aus dem Boden gestampft wurde und es noch extremen Optimierungsbedarf in der Forschung gibt. Es mangelt zudem an Richtlinien und Labels.

 

Auch bei der sozialen Frage könnte eine Entkriminalisierung oder Legalisierung einen Effekt haben. Wie bei vielen Produkten, die uns aus weiter Ferne erreichen, verdienen die Menschen aus der Landwirtschaft am wenigsten. Laut UN betrug das Einkommen pro Hektar Cannabis-Plantage in Afghanistan im Jahr 2010 umgerechnet 2970 Euro. Daraus ließe sich laut dem Bericht 145 Kilogramm Haschisch herstellen. Geht man von einem Kilopreis von 1900 Euro pro Kilo aus, ergibt sich ein Bruttowert von 275.500 Euro. Von dieser Summe bekommen die Bauern und Bäuerinnen lediglich 1%. Eine Legalisierung könnte den Druck, beispielsweise durch Kartelle, mindern und die Weichen für einen fairen Handel von Haschisch stellen, der nicht mehr nur vom illegalen Schmuggel abhängig ist. 

Was, wenn ich nicht verzichten möchte? 

Für klimabewusste Menschen, die nicht auf Marihuana verzichten wollen, wäre es vor allem wichtig, die oben genannten CO2-Fresser auf ein Minimum zu reduzieren. Denn zwischen einem – zugegebenermaßen durstigen – Pflänzchen auf der Terrasse und für Plantagen gerodete Wälder in Paraguay liegt klimabilanz-technisch einfach eine ziemliche Spannbreite.

Und, nur um das nochmal gesagt zu haben: Wer das Gefühl hat, seinen Cannabiskonsum nicht mehr kontrollieren zu können, kann lernen, den Konsum zu reduzieren oder ganz einzustellen. Erste Ansprechpartner*innen können ambulante Suchthilfeeinrichtungen sein. Dass Cannabis nicht süchtig machen kann, ist ein Mythos, der sich stetig hält. Bereits etwa jeder achte Beratungsfall in ambulanten Suchthilfeeinrichtungen betrifft Cannabis.

Ihr seid dran…

Bei diesem konfliktreichen Thema interessiert mich natürlich ganz besonders eure Meinung. Wie steht ihr zu dem Thema? Habt ihr euch schon mal gefragt, wie der ökologische Fußabdruck von Cannabis aussieht? Glaubt ihr, dass der Umweltaspekt einen Teil in der Diskussion rund um die Entkriminalisierung/Legalisierung einnehmen kann? Und wenn ja, für welche Seite?

Ich würde mich freuen, wenn wir uns in der Debatte auf den Umweltaspekt beziehen könnten. Allgemeine Diskussion zur Legalisierung gibt es ja schon zur Genüge.




QUELLEN:
Energy Policy: The International Journal of the Political, Economic, Planning, Environmental and Social Aspects of Energy
John Kagia: Illuminating Cannabis: The Future of Energy in the Marijuana Industry
Reuters: Moroccan smugglers embark on long new route to ship drugs to Europe
National Geographic: Bio-Gras? Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit beim Cannabis-Anbau
UNODC United Nations Office on Drugs and Crime: Afghanistan Cannabis survey 2010
Frankfurter Rundschau: Marihuana made in Marokko
Global Drug Policy Obsivertory / Swansea University: The Environmental Impacts of the Legalization of Cannabis in California
Spektrum: Cannabis-Anbau stellt Energieversorger vor Probleme
Sensiseeds: Haschisch & Cannabis aus fairem Handel: Ist das möglich? (Rechnung)
Journal of Environmental Management: Water storage and irrigation practices for cannabis drive seasonal patterns of water extraction and use in Northern California
Deutschlandfunk Nova: Wenn Kiffen schlecht für die Umwelt ist
MOZ: Kiffen schadet dem Klima
Energy Policy: The carbon footprint of indoor Cannabis production
The Guardian: Pot is power hungry: why the marijuana industry’s energy footprint is growing

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Hanftuber
7 Februar 2022 17:50

Hallo und danke für die Einladung, zu kommentieren, ich mache mal einen Anfang: In wie weit solche Zahlen exakt sind, bleibt die Frage, es sind jedoch Richtwerte. Deswegen möchte ich einige Informationen einbringen:

Indoor sind pro m² mehrere 100 Gramm Ernteertrag normal
Outdoor ist es vielleicht weniger oder blättriger, aber über 100 Gramm pro m² Marihuana bleiben normal
ein km² sind 1.000.000 m²
eine vorsichtige Schätzung geht für Deutschland von über einer Tonne Marihuana pro Tag aus, also über 400 Millionen Gramm im Jahr. Der deutschlandweite Bedarf wäre dann also mit 4 km² gedeckt.
Trends aus legalisierten Regionen gehen zu Extrakten über
für Extrakte reicht Outdoor, solange die Wirkstoffmatrix stimmt
der Gesetzgeber muss es nur wollen, dann bauen wir nicht mit Kunstlicht, sondern überwiegend mit Sonnenlicht an
Wein wird Jahrzehnte alt, wurzelt tief und weniger Ertrag ist von besserer Qualität – hier wird vielleicht weniger intensiv als für andere Agrargüter bewässert, Anbaufläche USA laut Wikipedia rund 4000 km², Deutschland rund 1000 km²
und ganz viele der Beratungs- und Therapiebedürftigen haben den Richter im Nacken, die Schnelltests werden immer besser, die Anzeigen-Zahlen erreichen fast jedes Jahr ihren neuen Rekord

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