„Klimaflüchtlinge“ sollen jetzt auch noch kommen
So titelte unsere Lieblingszeitung im Mai 2023 einen Online-Artikel, der sich um die Auseinandersetzung des Sachverständigenrates für Integration und Migration mit dem Thema Klimaflucht dreht. Das zugehörige Bild: Mehrere Männer auf einem Schlauchboot, die teils sehr direkt in die Kamera blicken. Natürlich.
Was ein solcher Artikel verursacht, müssen wir euch nicht erzählen. Das Narrativ der unkontrollierbaren Einwanderung – nun auch noch wegen des Klimawandels !1!1! – spielt gezielt mit den Ängsten vieler Menschen. Es fördert Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft und arbeitet mit starken Übertreibungen.
Doch hat die Geschichte der unkontrollierbaren Klimaflucht unter allem Populismus einen wahren Kern?
Klimaflucht – Was stimmt
Durch klimawandelbedingte Dürren, Fluten und Wüstenbildung sind schon heute Millionen von Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden. In den nächsten Jahrzehnten wird sich diese Not vervielfachen. Laut einer viel zitierten Prognose werden bis 2050 200 Millionen Menschen aufgrund des Klimawandels auf der Flucht sein.
Die Datengrundlage dazu ist jedoch… naja, nicht perfekt. Denn die Schätzung basiert überhaupt nicht auf einer tatsächlichen Untersuchung dazu, welche Faktoren wirklich zu einer Flucht führen. Sie geht einfach davon aus, dass Menschen sofort aus den Gebieten fliehen, in denen die Umweltbedingungen sich verschlechtern, und lässt mögliche Anpassungsstrategien vor Ort völlig außer Acht. Dafür wird sie in Fachkreisen stark angezweifelt (Climate Migration Is about People, Not Numbers (PDF)).
Fakt ist: Mit großen Zahlen können große Drohszenarien aufgebaut werden. Große Drohszenarien = mehr Angst, mehr Klicks, mehr Spaltung. Dieser Meinung sind auch die Autor:innen des Buchs Negotiating climate change in crisis (PDF):
“Große Zahlen werden für rhetorische Zwecke verwendet, um Angst vor der Klimamigration zu schüren, aber dieser Ansatz geht nach hinten los, wenn sie zur Rechtfertigung sicherheitsorientierter, migrationsfeindlicher Agenden verwendet werden”, so die Autor:innen.
Das wirft für gewisse Akteure mehrere Möglichkeiten auf:
- Lasst uns die Drohszenarien mal auf realistischen Zahlen aufbauen
- Lasst mal echte Maßnahmen fordern, um Fluchtursachen zu bekämpfen (unabhängig davon, wie viele Millionen Geflüchtete es nun genau sein werden)
- Lasst mal die Bekämpfung von Fluchtursachen fordern und uns um genaue Zahlen bemühen
- Lasst lieber auf Basis ungenauer Daten Spaltungstendenzen fördern 🤡
Naja. Benennen wir doch mal das konkrete Angstszenario, das in diesem Zusammenhang gerne geschürt wird:
Auf einmal stehen mehrere Millionen geflüchtete Männer aus anderen Kulturräumen vor den Toren Deutschlands, um hier wahlweise an Sozialleistungen zu kommen oder anderen Menschen die Arbeit wegzunehmen. Und die Frauen. Und die Zahnarzttermine. Und überhaupt alles, was uns hier wichtig ist.
Klimaflucht – Faktencheck
Ist es wirklich der Traum aller Menschen, nach Deutschland zu kommen, weil es so geil hier ist und weil die böse Merkel vor sieben Jahren mal gesagt hat, dass alle willkommen sind?
Nein. Die überwältigende Mehrheit kann und möchte überhaupt nicht den Kontinent wechseln, wenn sie ihre Heimat verlieren. Klimawandelbedingte Migration findet zum großen Teil innerhalb des eigenen Landes statt. Wenn das Land gewechselt wird, dann häufig in das Nachbarland. (Klimawandel und Migration: was wir über den Zusammenhang wissen und welche Handlungsoptionen es gibt (PDF))
Wenn sich Menschen in Lebensgefahr begeben, um über das Mittelmeer hierherzukommen, dann tun sie das, weil ihnen keine Wahl bleibt. In den allermeisten Fällen bedeutet das: Krieg und Gewalt. Ja, mit den Jahren wird auch die globale Erhitzung ein immer stärkerer Faktor werden. Diese konkrete Fluchtursache kann bekämpft werden, indem die Klimakatastrophe eingegrenzt und die betroffenen Länder mit Geld und Technologietransfer unterstützt werden.
Was dagegen nicht so richtig sinnvoll ist: unkontrollierbare Massenmigration als rassistisches Drohszenario aufzubauen.